Ulrike Arnold
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Ulrike Arnold – Malerin mit Erde und Sternenstaub

in: JUNGE KUNST, Nr. 69 (Januar – März 2007)

Atemberaubende Landschaftsformen. Vielfältige, bizarre, meist karge Strukturen greifen ineinander. Sand, Geröll und gebundenes Gestein. Faltige Bergrücken, geschwungene Felsen, von Wind und Wasser modelliert. Selbst Anselm Springs Fotografie eines Ausschnitts der Notom-Wüstenregion im us-amerikanischen Bundesstaat Utah vermag deren Erhabenheit plastisch zu vermitteln. Im Vordergrund des Motivs steigt eine Frau in einen der Trichter hinab. Lange weiße Hose, weites Hemd und brauner Hut schützen ihren Körper vor der brennenden Sonne. Unterm Arm trägt sie eine zusammengerollte Leinwand. Dieselbe Frau begegnet uns in einem Lichtbild vom kleinen Plateau Luna Mesa, ebenfalls Utah. Es zeigt sie mit dem Rücken zu einer aufsteigenden Felsformation und umher liegenden Brocken vor einer Leinwand kniend. Sie ist bei der Arbeit, setzt mit Fingern und Händen die begonnene Komposition fort. Auf dem mit Steinen, Splittern, Sand und Erde bedeckten Boden liegen Schalen und Pinsel zum Anrühren des Malmaterials sowie ein Hammer. Mit ihm wurden zuvor die steinernen Materialien geschlagen und zerkleinert, die sich links in den diversen Plastiktütchen befinden – sortiert nach Art und Farbe.

Seit über 25 Jahren malt Ulrike Arnold weltweit an ausgesuchten Plätzen mit vor Ort abgegrabenen Erden, Mineralien und Steinen. Sie spürt der Komplexität, der besonderen Atmosphäre und Aura mehrheitlich zivilisationsferner Landschaften und magisch-mythischer Stätten intuitiv nach, um die dort wirksamen Kräfte „einzufangen“ und zu bündeln: ursprüngliche, nicht durch Menschenhand, sondern Natureinwirkungen geformte, häufig geradezu „menschenfeindliche“ Gebiete. Arnold malt auf Hochplateaus, in Wüsten und Felsschluchten (darunter der Grand und Bryce Canyon), in der Nähe von Vulkanen und Tafelbergen, in der Wildnis, im Niemandsland. In der Regel werden diese abgeschiedenen Landschaften von ihr erwandert. So kann es Tage dauern, bis sie an einen „geeigneten“ Ort gelangt. In der selbst gewählten Einsamkeit, in der ungeheuren Stille, der „Leere“ und unendlich scheinenden Weite der grandiosen Natur, verbringt sie vollkommen auf sich selbst gestellt weitere Tage bis wenige Wochen. Nur gewappnet mit Zelt, Schlafsack, Proviant und Malutensilien setzt sie sich den zumeist extremen Plus- und Minus-Graden, der wechselnden Witterung und der ungewohnten Fauna aus. „Das Alleinsein, die absolute Ruhe, das Beobachten der Naturvorgänge, der Lauf der Sonne machen mich immer ruhiger, angstloser. Ich fühle mich wohl“, lautet einer ihrer Tagebuch-Einträge. Er darf durchaus auf die gesamte Entwicklung gemünzt werden, die Arnold seit Beginn ihrer zahlreichen Reisen durchlaufen hat: So wandelte sich etwa ihre anfängliche Furcht vor Naturphänomenen und giftigen Naturbewohnern in einen zwar respektvollen, gleichwohl vertrauensvollen Umgang mit der Natur – in ein Gefühl des Aufgehobenseins.

Die heute 56-jährige Düsseldorferin lebt in ihrer Malerei unter anderem ihre frühe und ungebrochene Faszination für die vielfältige Schönheit der Erde aus, für die Naturgeschichte, für die verschiedenen Landschafts- und Gesteinsformen der Erde mit ihren ganz unterschiedlichen Material- und Farbqualitäten. Dabei interessiert sie sich stets auch für die jeweilige Kulturgeschichte, die Bewohner, ihre Lebensweisen. Ein Beispiel dafür ist ihr Aufenthalt im zentralaustralischen Yuendumu, einem Aborigines-Gebiet 300 km nordwestlich von Alice Springs, wo sie in Kontakt mit einheimischen Malerinnen kam. „Körperbemalungen mit Ocker bilden nach wie vor feste Bestandteile der Rituale der Aborigines“, so Arnold. Sie erlaubten der Deutschen, an ihren Ockerplätzen abzugraben. Auch in einer besonderen, „heiligen“ Höhle in einem Tafelbergareal. Arnold kroch mit hinein, „über tiefrote, weiche Felsbrocken. Meine Haut glänzte rotmetallisch. Dieses Rot war so intensiv wie keines vorher“, entnimmt sie zum Beweis aus einem der unzähligen Säckchen mit Erde, die in ihrem Atelier aufgereiht sind, ein kleines Stück dieses außergewöhnlichen, lange anhaftenden Pigments.

Arnolds Landschaftsportraits sind weder konventionell, noch beliebig. In ihrer Art sind sie einzigartig, unwiederholbar, jedes ein Ergebnis eines bestimmten Ortes, eines bestimmten Zeitrahmens. Was auch auf andere Kunst zutreffen mag, gilt in besonderem Maße für Arnolds Schaffen: Ihre konkrete Wahrnehmung von Gebieten, mit allen Sinnen, ihr Eingehen auf spezifische Plätze wie ihr Erspüren dortiger Stimmungen, mündet, verbunden mit der jeweiligen persönlichen Befindlichkeit, in einen intuitiven Malakt. „Ich erwandere Landschaften und erlebe mich dabei selbst als Teil der Landschaft: Ich gehe über die Erde und werde von ihr getragen.“ Entsprechend entstehen die Bilder oft unter Zuhilfenahme des ganzen Körpers. Dies bedingt allein schon die Größe vieler Leinwände. Arnold umschreitet sie, tritt auf sie, kniet oder setzt sich in sie hinein, trägt die Farbe mit Ästen und Stöcken, Steinen und Pinseln, insbesondere mit Fingern und Händen auf. „Der Malgestus entwickelt sich aus einer aus dem Körper kommenden Bewegung, die der Erinnerung an meine Bewegung in der Landschaft entspringt, an die von mir erlebte Ausstrahlung der Landschaft“, beschreibt die Absolventin der Kunstakademie Düsseldorf und Rinke-Meisterschülerin.

Ihre Bilder schimmern in vielfältigen Tönen. Tiefgrünes und -gründiges Malachit, lasur- bis intensivblaues Azurit oder gelb, rot oder weiß leuchtender Ocker bedecken die Leinwände. Ebenso verhaltene, matte Schattierungen, auch dunkle Farben. Erdiges Braun in den verschiedensten Nuancen etwa, warmes, kupfernes Rot, diverse Schwarz-Abstufungen... Abstrakt sind ihre Gemälde, von einer lebendigen, fein- bis grobkörnigen, mitunter reliefartigen Gestalt. Deren Entstehungsorte sind über alle Kontinente verteilt. Unter anderem war Arnold in der Provence tätig, in Island, Armenien und Deutschland, im brasilianischen Itaberita, im togolesischen Hahotoe und Nordjemen, in Südindien, Japan, Süd- und Zentralaustralien und immer wieder in den USA, in Arizona, Colorado, New Mexiko und Utah.

Arnold sucht gleich etwa dem Land-Artisten Mike Heizer „unberührte, leere, schweigende und religiöse“ Räume auf. Obwohl sie in diesen „Räumen“ vereinzelt auch (per Foto und Film dokumentierte) vergängliche Felsbilder und Bodeninstallationen ausführt, ist ihre Kunst im traditionellen Sinne dennoch nicht der Land Art zuzurechnen. Übereinstimmung besteht aber sicherlich in der Gegenposition zu einer, allgemein formuliert, überbordenden künstlichen Welt; mithin zu Kunstäußerungen, die Arnold als „neue Kunstmedien“ bezeichnet, in denen eine „Seele“ nicht zu finden sei. Auf das Gegenteil zielen ihre mal flächig, mal graphisch anmutenden Bilder ab. In ihnen sind Emotionen und Stimmungen „niedergeschrieben“ wie in Tagebüchern. Diese nicht figürlichen Eintragungen, ihre „Motive“, resultieren aus der Beobachtung, dem Erspüren der Energie der jeweiligen Plateaus, Schluchten, Wüsten, Höhlen, Flusstäler..., der eigenen Befindlichkeit.

Indem Arnold unmittelbar vorgefundenes, ursprüngliches Material verwendet, verweist sie auf die Einheit von künstlerischer Idee und deren Realisierung. Erden und Steine sind bei ihr nicht nur selbstverständliche Bestandteile einer inspirierenden Landschaft. Diese Stoffe erst ermöglichen den künstlerischen Prozess. Dabei greifen Spontaneität und Kontrolle, intuitive Malgestik und bedachtes Auftragen ineinander. Arnold kommuniziert mit dem entstehenden Bild. In einer Art Zwiesprache ergeben sich die erforderlichen Schritte. Dieses gefühlsmäßige Anordnen wie bewusste Komponieren ist verwandt mit etwa Jackson Pollocks Malmethode, die er als „das natürliche Wachstum aus einer Notwendigkeit“ heraus erklärte. Gleichwohl deckt sich Arnolds allmähliches Vorgehen nicht mit dem dynamischen Ablauf des Action Painting, geschweige dem rauschhaften „Dripping“ des amerikanischen Malers. Ebenso wenig, auch wenn der Eindruck sich aufdrängt, „erfüllt“ sie umfassend die Kriterien der informellen oder konzeptionellen Kunst. Gerade weil sich vermeintlich „Verwandschaften“ anbieten, und man auch hier geneigt ist, Verbindungen herzuleiten oder zu konstruieren, sollte festgehalten werden: Keine der bestehenden „Schablonen“ ist auf Arnold anwendbar. Ihre Kunst ist solitär. Ihre künstlerische Idee ist, wie gehört, komplex, und nicht allein an der ästhetischen Erscheinung der Bilder festzumachen. Aber schon allein diese ist beeindruckend. Die natürliche Materialität und Farbigkeit verleihen Arnolds Gemälden eine solch sinnliche Präsenz, sie vermitteln einen derart tiefen archaischen Bezug, der mit beispielsweise künstlichen Farben nicht zu erreichen wäre.

Für die 1999 im Ludwig Forum, Aachen, präsentierte Gemeinschaftsausstellung „natural reality“, die die vielfältige Beziehung von zeitgenössischen KünstlerInnen aus neun Ländern zur Natur und den künstlerischen Umgang mit ihr dokumentierte, schuf Arnold in südwestamerikanischen und nordmexikanischen Wüsten sieben überdimensionale Formate. Sie messen sieben mal ein Meter achtzig, schillern in verschiedenen Farben. Gemalt an den sieben Orten Luna Mesa und Black Mesa Boulder in Utah, Abiquiu und Guadoloupe Canyon in New Mexiko, Flagstaff und Zacatecas Canyon Bisbee in Arizona sowie Mesa Blanca Sonora in Mexiko, bündeln sie nicht nur die jeweiligen Kräfte der abgelegenen Stätten. Arnold bezieht sich in deren Gesamtheit auch auf den mystisch-magisch-rituellen Charakter der universellen Zahl Sieben. Die Beschäftigung mit solcher Art von Symbolen – die große Bedeutung der Sieben-Zahl zieht sich durch nahezu alle Zeiten und Kulturen, sie strukturiert naturwissenschaftliche Gegebenheiten, mythologische und biblische Phänomene, sie spielt eine besondere Rolle in Märchen und Religionen – ist eines der Kennzeichen im Werk Arnolds. Ihr passives wie aktives Interesse an Felsmalerei ein weiteres. So nutzt sie nicht nur Leinwände als Bildträger. An diversen, abgelegenen Orten auf unserem Planeten hat sie zudem Wände von Felsen und Höhlen gestaltet. Dazu zählt etwa ein Abschnitt der hohen, gelbfarbenen Sandsteinfelsen im San Francisco Wash nahe dem Navajo-Rerservat östlich von Flagstaff. „Die Auseinandersetzung ist lebhaft und intensiv. Grobe, unebene Flächen, Risse, Spuren von Verwitterung, Flechten, abgeplatzte Gesteinsschichten, Einschlüsse von Eisenoxyd“, beschreibt Arnold die dortigen Bedingungen in ihrem Tagebuch.

Meteoritenbilder

Seit vier Jahren, und weltweit wohl einmalig, spielen in Arnolds Arbeit ebenso Meteoritenpartikel eine wesentliche Rolle. Was der zufälligen Bekanntschaft mit einem Meteor-Spezialisten entsprang, ist bei genauerer Betrachtung die konsequente Weiterführung ihrer Beschäftigung mit Orten und deren Beschaffenheit – und sei es das Weltall. Es ist deren schlüssige Erweiterung so zusagen in den Himmel hinein. „Das große us-amerikanische Institut der USGS für Astrogeologie in Flagstaff, Arizona, zelebrierte im September 2002 den 30. Geburtstag der letzten Apollo-Mission“, erzählt Arnold. Ihr war es gelungen, dabei zu sein und mit Harrison Schmid, einem der Astronauten des letzten Mondfluges, scherzhaft ihren „geheimen Wunsch auszutauschen, bei einem bemannten Raumflug mitzuwirken und an Materie aus dem All zu kommen“. Tags darauf stiegen die Teilnehmenden in den nahen Canyon de Diabolo, einen riesigen Meteorkrater, in dem die Astronauten einst trainierten. „Wir rutschten einen Steilhang hinunter“, erinnert Arnold, „als mich ein Amerikaner mit riesigem Cowboyhut ansprach: Are You into the Marsproject? Ich stotterte, dass ich gar kein Wissenschaftler sei, sondern Malerin mit Erde der fünf Kontinente. Fast stürzte er ab und ich auch, denn wie vom Meteoritenschlag gerührt, rief er: Ich bin Meteoritenforscher und -sammler, weltweit!“ Sein Name ist Marvin Killgore. Mit Gattin Kitty betreibt der Geologe und Chemiker das renommierte Arizona Southwest Meteorite Center and Laboratory in Tuscon. Der „Indiana Jones“ der Meteoritenforschung spürt auf der ganzen Welt Überreste auf, die nach Alter, Herkunft und Metallzusammensetzung untersucht werden. Beim Zersägen der Objekte würden immer wieder Späne abfallen, erzählte er Arnold. Späne, von denen er sich immer gefragt habe, ob sie nicht für Künstler von Interesse sein könnten. Kurzum, Killgore bot der Malerin einige der wertvollen Splitter für ihre Arbeit an. Sie glaubte ihren Ohren nicht zu trauen. „Hatte ich nicht am Tag vorher den Wunsch ausgesprochen, mit Material aus dem All zu malen? Nun fiel mir wie ein Sterntaler im großen Meteoritenkrater der Sternenstaub zu.“

Neuesten Erkenntnissen zufolge brachten die auf unserem Planeten eingeschlagenen Meteoriten die Bausteine für das Leben. Als (Mit)Gestalter unserer Existenz machten sie den Weg zu neuen Arten frei. Vor Milliarden von Jahren, noch vor Entstehung der Erde, haben sie sich in unserem Universum gebildet. Nun nutzt Arnold Partikel dieser geheimnisvollen Materie – metallhaltiges Gestein und Nickel-Eisen-Verbindungen, stammend von Fundplätzen in Argentinien (Campo del Cielo), China (Fukong), Grönland (Cape York), Nambia (Gibeon) und USA (Canyon Diabolo, Portales Valley) -, für außergewöhnliche Werke, von denen eines den Weg in die Sammlung des Kunstmuseums Düsseldorf gefunden hat. Die Oberflächen glitzern silbern und anthrazitgrau, sie tragen eine schwarze oder tiefbraune Färbung. Ihre Spannung beziehen sie neben dieser dunklen Unergründlichkeit aus der Komposition. Hier stellt sie sich dicht, dort aufgelockert dar. Hier bedeckt das Material die Leinwand nahezu komplett, dort operiert Arnold verstärkt mit Weglassung und „Leere“.

Die Erweiterung des Malmaterials um solcherart Ursubstanzen, um metallene Bestandteile von Asteroiden und Kometen, unterstreicht Arnolds Interesse an Naturkraft und Urtiefe. Diese stillen Spuren des Ewigen, ob nun irdische Stoffe oder Boten aus dem All, ob nun schimmerndes Mineral, sanfttonige bis kräftig leuchtende Erde oder silbrig glänzender bis dunkel oxidierter Sternenstaub, diese Spuren vermag sie auf äußert sinnliche Weise zu sichern. Sie verbindet sie zu geheimnisvoll-anziehender Poesie des Irdischen wie Kosmischen – zu intensiven expressiv-lyrischen Abstraktionen. Es handelt sich um Mikrokosmen. Um „materialpoetisch verdichtete“ Landschaften. Jede für sich zeugt von der herausgeschälten Eigenart und Besonderheit des bereisten Ortes. In der Summe schließlich veranschaulichen sie deren untrennbare Verbindung auf dieser einen Erde.

Engelbert Broich, Köln


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