Wenn die Erde malt
Zu den „Landkarten“ von Ulrike Arnold
Ein Fragment

Wir haben uns längst an die Reihenfolge von Zahlen gewöhnt, die uns als ein Schlüssel dienen, Dinge, Schachverhalte oder ganz allgemein Informationen zu schützen oder auch wieder zu öffnen. Wir brauchen solche Zahlencodes wie selbstverständlich für Kontokarten, Mobiltelefone, zum Öffnen unserer Personal Computer wie für Haustüren oder Reisekoffer. Wenn auch nur eine der Ziffern nicht stimmt oder nicht ganz in der richtigen Reihenfolge eingestellt wird, springt das Schloss nicht auf. Es öffnet sich nicht. Die gewünschte Reaktion bleibt aus. Und ist es nicht ganz so wie mit den Buchstaben beim Schreiben? Wenn wir über einen so verschlossenen, persönlichen und bisweilen auch geheimnisvollen Bereich wie zum Beispiel der Kunst sprechen, können die Buchstaben, nur erst einmal in die richtige Reihenfolge gebracht, etwas aufschliessen und beim Leser tatsächlich eine Reaktion, eine öffnende Erkenntnis hervorrufen.

Die großartigen und doch auch fremden Bilder von Ulrike Arnold als „Landkarten“ zu verstehen, wäre so eine Buchstabenkombination.  Wir kennen Landkarten vielleicht noch aus dem Schulunterricht. War Erdkunde an der Reihe, kam der Kartenständer, der irgendwo in der Ecke gestanden hatte zum Einsatz und an diesem sperrigen Gerät wurde die Landkarte aufgezogen. Der Lehrer hatte sie in Form eine Rolle aus dem Kartenlager mitgebracht. Es handelte sich um eine Leinwand, die auf der Schauseite farbig bedruckt war. „Afrika“ stand da in fetten schwarzen Lettern darüber, oder „Australien“ oder auch „Südamerika“. Da konnte man staunen. Die Berge, teifbraun, die Flüsse und Seen blau, die Wünsten hellgelb und die fruchtbaren Ebenen grün. Am Rand links oder rechts unten, verschwindend klein, war der Maßstab angegeben. Eine nicht unwesentliche Information. Denn so staunenswert „Afrika“ oder „Australien“ im Klassenraum auch erschienen, sie hätten auf keine Karte je gepasst.

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Ulrike Arnold malt Bilder. Sie reist in ferne Länder, sucht dort bestimmte, weit abgelegene, für sie bedeutende, besondere Energien ausstrahlende Orte und geheimnisvolle wie zauberhafte Plätze inmitten einer noch weitgehend unversehrten Natur aus. Aus den Erden und Gesteine, die sie dort vorfindet, gewinnt sie in einem oft mühsamen Prozess des Zerkleinerns und Zermahlens von Gesteinsbrocken und Erdklumpen, Material und Malmittel für ihre Bilder. (Eine Gruppe von knapp sieben Meter langen Bildern hat gerade einen erstaunlichen Ausstellungsraum in der 20. Etage der Hauptverwaltung der Stadtsparkasse Düsseldorf, also hoch über Großstadt gefunden).

Als Träger für die Bilder verwendet sie mitgebrachte, für die Reise zusammengerollte Leinwände. Scheint es nahe zu liegen, ihre Bilder Landkarten zu nennen? Es sind Landkarten einer inneren wie äußeren Landschaft. Gefertigt unter dem unmittelbaren Eindruck der Ulrike Arnold anziehenden, aber extremen anspruchsvollen und auch erschöpfenden Situation (extreme Hitze, Kälte, Höhen, etc.) in einer abgelegen Weltgegend. Die Künstlerin setzt sich diesen Situationen nahezu ungeschützt wochen- und oft monatelang aus. Ihre Reisen gleichen Expeditionen in noch unbekannte Territorien und entsprechend akribisch und sorgfältig sind ihre Vorbereitungen, ihre Recherchen und Erkundigungen. Ihre Neugier gilt dem Unbekannten, dem Fernen und Fremden. Sie reist allein. Bei aller Erfahrung mit diesem Sich-Aussetzen, lassen sich, jenseits der äußeren Beschwernisse und Gefahren, auch die wechselnden inneren Zustände zumindest erahnen, die zwischen Einsamkeit und Extase oszillieren.

Arnolds Landkarten sind Landkarten ohne Maßstab. Sie sind überhaupt ohne wissenschaftlichen Anspruch. Sie repräsentieren nichts und wollen kein umfassendes, irgendwie verbindliches Bild bieten. Sie schaffen keine abgeklärte Distanz, sondern sind unmittelbarer Ausdruck und Erleben. Wenn es Landkarten sind, dann im Sinne von unmittelbaren Aufzeichnungen in einer extremen wie existentiellen Situation. Eine Grenzerfahrung wird hier künstlerisch kartographiert. Innere und äußere Welt sind in einem gleichsam ozeanischen Amalgam ununterscheidbar zusammengeströmt. Es läßt sich daher auch kein Maßstab angeben. Es handelt sich vielmehr und Erdkarten im Sinne von Karthographien eines konkreten Fleckens Erde geweitet zu Weltkarten eines universalen Bewusstseins.

Die Künstlerin, abgesondert und ausgesetzt einer extremen Natur, setzt sich einem Experiment aus. Sie enthebt sich in der Erde und mit der Erde dem persönlichen, individuellen Bewusstsein ihres alltäglichen Daseins in einem Maß, wie es nur im Zustand der Extase gelingen kann, um sich mit den Kräften der Erde und des Himmles zu verbinden. Sie teilen sich uns mit, die Künstlerin selbst ist nur ihr Medium.  So entstehen Landkarten von überpersönlicher Schönheit und Größe unserer Erde.

C. F. Schröer, 1. Dezember 2011

 

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